FTX-Pleite und Bitcoin-Crash: El Salvador zittert um die Staatsfinanzen – Handelsblatt

Mexiko City, Zürich Angesichts der jüngsten Verwerfungen an den Kryptomärkten nach der Pleite der Börse FTX wachsen in El Salvador die Sorgen um die Staatsfinanzen und Ersparnisse der Bevölkerung. Staatschef und Bitcoin-Fan Nayib Bukele hatte den Bitcoin im September 2021 als offizielles Zahlungsmittel in dem Land eingeführt und damit begonnen, mit Steuergeld eine Bitcoin-Reserve für den Staatshaushalt aufzubauen.

Der Bitcoin, von dem es nie mehr als 21 Millionen Stück geben wird, stehe für das Gegenteil von FTX. Dort konnten Anleger Wetten auf Tausende Kryptocoins eingehen, deren Geldmenge praktisch unlimitiert war. „Manche verstehen es, manche nicht“, meint Bukele.

El Salvador: Experten warnen vor Staatsbankrott

Experten, die in der Aufwertung des Bitcoins zur offiziellen Landeswährung so etwas wie finanzpolitisches russisches Roulette sehen, fühlen sich angesichts der jüngsten Entwicklungen bestätigt. Ricardo Castaneda vom Zentralamerikanischen Institut für fiskalische Studien (ICEFI) warnt vor einem Staatsbankrott. Er geht von einem Wertverlust des Bitcoins in El Salvador von rund 67 Prozent seit Einführung aus.

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Castaneda schätzt die Verluste für die Staatsfinanzen bisher auf etwa 70 Millionen Dollar. „Das entspricht dem kompletten Budget des Landwirtschaftsministeriums.“ Und das in einem Land, in dem die Hälfte der Bevölkerung unter Ernährungsunsicherheit leidet.

El Salvador ist das kleinste Land Zentralamerikas und etwa so groß wie Hessen. Nach Angaben der Weltbank lebt ein Viertel der Bevölkerung in Armut. Fehlender Internetzugang und fehlende Smartphones schließen von vornherein einen Großteil der Bevölkerung von der Bezahlung mit Bitcoin aus.

Mögliche Millionenersparnis durch Bitcoin

Bukele, der sich selbst als „CEO“ eines Landes sieht, verkaufte den Bitcoin als die ideale Möglichkeit, unabhängig vom internationalen Finanzsystem zu werden und für die Bevölkerung viele Kosten zu reduzieren. Mit dem neuen Zahlungsmittel sollen die Menschen an Tankstellen und in Supermärkten zahlen. Auch die Steuern sollen so entrichtet werden können.

Vor allem sollten die Überweisungen der Millionen Auslandssalvadorianer in der virtuellen Währung getätigt werden, um Transaktionskosten zu sparen. Dafür hat El Salvador ein eigenes Bitcoin-Wallet, Chivo, eingeführt.

Eine eigene Währung hat El Salvador seit rund 20 Jahren nicht mehr. Das offizielle Zahlungsmittel, der El-Salvador-Colón, wurde 2001 abgeschafft und durch den US-Dollar ersetzt.

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Aus Sicht von Gregor von Bergen, Experte für Zahlungsverkehr beim Beratungsunternehmen Capco in Zürich, ist die Idee hinter der Bitcoin-Einführung nach wie vor sinnvoll. „Viele Menschen in El Salvador haben keinen Zugang zum klassischen Bankensystem.“ Hinzu komme, dass Heimatüberweisungen von im Ausland arbeitenden Salvadorianern etwa 25 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmachen.

Proteste gegen Bitcoin in El Salvador

Der Widerstand gegen die Einführung der Kryptowährung als Zahlungsmittel wächst.



(Foto: Reuters)

Von Bergen schätzt, dass sich, gemessen an den Zahlungsströmen aus dem Jahr 2020, insgesamt 400 Millionen Dollar an Gebühren einsparen ließen, wenn sämtliche Heimatüberweisungen über das Bitcoin-Lightning-Netzwerk abgewickelt würden. „Der Erfolg des Projektes hängt davon ab, wie viele Menschen die Möglichkeit tatsächlich nutzen“, sagt von Bergen.

Der Erfolg ist jedoch bisher überschaubar: Nach Angaben der Zentralbank nutzen gerade mal zwei Prozent der Migranten die virtuelle Plattform, um Geld an die Familien daheim zu überwiesen. Die Bilanz nach 14 Monaten Bitcoin in El Salvador fällt ernüchternd aus.

Mit der FTX-Pleite droht das Bitcoin-Projekt vollständig zum Flop zu werden, wie Ökonom Castaneda erklärt. „Die jüngsten Verluste sind fast ein Todesstoß für die Hoffnung der Regierung, dass sich der Bitcoin in El Salvador langfristig durchsetzt und von der Bevölkerung akzeptiert wird“, unterstreicht er. „Spätestens jetzt haben die Menschen die Volatilität der Währung aus erster Hand erfahren.“

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Der autoritär regierende Staatschef Bukele will die 6,5 Millionen Einwohner des Landes dennoch weiter dazu bringen, die Kryptowährung zu benutzen. „Es könnte sich eine paradoxe Situation ergeben“, sagt Castaneda. „El Salvador war das erste Land der Welt, das Bitcoin als gesetzliches Zahlungsmittel eingeführt hat, aber es ist gut möglich, dass es auch das Land ist, in dem der ganz überwiegende Teil der Bevölkerung dem Zahlungsmittel die kalte Schulter zeigt.“

Ladenfenster in El Salvador

Warnendes Beispiel für andere Länder

Der Fall El Salvador könnte zudem anderen Staaten als warnendes Beispiel dienen, die darüber nachdenken, den Bitcoin ebenfalls als gesetzliches Zahlungsmittel und Währungsreserve einzuführen. Dazu gehören Panama oder die Zentralafrikanische Republik. Edoardo Beretta, Ökonom an der Universität in Lugano, sieht die Bitcoin-Einführung in der Tradition dollarbasierter Wechselkurssysteme, wie sie insbesondere in Lateinamerika verbreitet waren. „Südamerika hat schon immer nach Geldwertstabilität gesucht und ist daher offener für alternative Geldlösungen.“

Fraglich ist jedoch, ob der Bitcoin diese Funktion erfüllen kann. Zweifelsohne sei der Bitcoin ein profitables Investment für jene gewesen, die rechtzeitig eingestiegen sind, sagt Ökonom Beretta. „Doch aus makroökonomischer Perspektive erhöhen Kryptowährungen den Wohlstand einer Volkswirtschaft nicht, da sie keinen realen Wert haben. Gleiches gilt allerdings auch für die übermäßige Geldschöpfung vonseiten des Bankensystems.“

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Dass El Salvador beinahe auf dem Höhepunkt der Kryptorally eingestiegen ist, kommt das Land nun teuer zu stehen. Im Januar muss die Regierung internationale Schulden in Höhe von 667 Millionen Dollar begleichen, Analysten zufolge könnte das zentralamerikanische Land zahlungsunfähig werden.

Anfang des Jahres bat Bukele den Internationalen Währungsfonds (IWF) um eine Finanzierung. Die multilaterale Organisation lehnte ab und forderte Bukele auf, die Einführung von Bitcoin als gesetzlichem Zahlungsmittel zu überdenken.

Laut dem salvadorianischen Vizepräsidenten Félix Ulloa will China nun die Auslandsschulden des Landes kaufen. Ein entsprechender Vorschlag werde von der Regierung geprüft, erklärte er Anfang November. Kurz danach verkündete Bukele, dass El Salvador ein Freihandelsabkommen mit der Regierung in Peking unterzeichnet habe.

Mehr: Der Kollaps der Börse FTX zeigt: Die Kryptobranche ist auf Sand gebaut

Erstpublikation: 19.11.22, 17:00 Uhr.

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